Kurzgeschichten

Das Land der roten Rosen – Teil XIV: Wunden lecken

Zuletzt aktualisiert am 27. November 2012 von DarkISI

Den Stich der Nadel spürte Bassey kaum über seine sonstigen Schmerzen. Sein Angriff hatte ihn mehr gekostet als er geplant hatte. Er versteckte die Spritze und holte eine zweite aus dem Erste-Hilfe-Set heraus. Er hatte es von einem der toten Söldner und war froh darum, dass es sich nicht um das normale lyranische Paket mit nur einer Ladung Morphium handelte sondern um das größere für Sanitäter. Die zweite Spritze setzte er sich in den linken Unterarm. Hier war wenigstens ein Knochen gebrochen.
Dass seine Gegner stark und schnell waren, war anhand der Spuren in der Station für ihn schon lange klar gewesen. Die Fußabdrücke sowie Lackspuren an aufgebrochenen Türrahmen und ähnlichem hatten ihm außerdem gezeigt, dass es sich um irgendwelche Maschinen handeln musste und auch deren Größe hatte er dadurch in etwa abschätzen können noch bevor dieser erneute Angriff begonnen und er den ersten von ihnen mit eigenen Augen gesehen hatte. Um was es sich genau handelte, wusste er jedoch noch immer nicht. Für BattleMechs waren sie viel zu klein, doch musste es in diese Richtung gehen.
Einen von ihnen hatte er mit Hilfe des Söldners in das Wirtschaftsgebäude locken können. Die von ihnen vorbereitete Falle bestand aus dem Gas für die konventionellen Schweißbrenner, Benzin und allem, was sie sonst noch an Brandbeschleunigern gefunden hatten. Und natürlich einem Plasmaschweißbrenner ohne den die Gasflaschen nicht so schnell explodiert wären. Die Leuchtspurgeschosse hatten sie nur abgefeuert um das Benzin in Brand zusetzen und dem Angreifer durch das Feuer die Sicht zu nehmen. Diese Falle hatte er schon kurz nach ihrer Ankunft geplant, jedoch eigentlich für die Söldner.
Die Planung seiner Flucht war seine Hauptbeschäftigung gewesen während er vorgab, bei der Spurensuche zu helfen. Doch was er und die Söldner gefunden hatten, hatte ihn dennoch beunruhigt und ihn zu einigen Änderungen seiner Pläne veranlasst. Es hatte nicht mehr ausgereicht, zwei Dutzend Infanteristen und die Zivilisten zu überwältigen. Stattdessen hatte er einen gepanzerten Gegner mit einbeziehen müssen. Einen vollkommen unbekannten Gegner, der hochentwickelte Waffensysteme besaß aber aus irgendwelchen Gründen auf Schusswaffen verzichtete.
Auch so waren sie gefährlich genug und er hatte sich etwas ausdenken müssen, mit dem er dieser Bedrohung gerecht werden konnte. Leider besaßen die Söldner keine wirklich schweren Waffen, die sich Bassey hätte verschaffen können. So hatte er improvisiert und sein Glück mit einem weiteren Plasmaschweißgerät versucht. Dieser Versuch war ihm zumindest teilweise gelungen. Die Flamme war heiß genug gewesen, sich durch die Rüstung eines der Angreifer zu brennen und den Insassen zu töten. Jedoch war die Reaktion zu schnell gewesen. Bassey hatte es geschafft, das Schweißgerät in einen Spalt auf der Rückseite der Rüstung zu klemmen, danach erwischte ihn jedoch ein heftiger Schlag. Dem stampfenden Fuß war er nur knapp entkommen bevor er sich in den Lichtschacht eines Kellerfensters geworfen hatte.
Der eine Schlag hatte ihm das Schultergelenk ausgekugelt und den Unterarm sowie wenigstens eine Rippe gebrochen. Immerhin zeigte das Morphium seine Wirkung und ermöglichte es ihm, wieder entspannter zu atmen. Auch wenn es ihn noch mehr Zeit kostete, begann er damit, den Arm zu schienen. In dem Kellerraum war er in keiner unmittelbaren Gefahr und so konnte er seine Wunden lecken. Ihm kam dabei der Gedanke, dass er damit zum ersten Mal dem Namen Ehre machte, den die Lyraner ihm gegeben hatten. Die Ratte. Die Polizei und die planetare Miliz hatten angenommen, dass er sich nach dem Banküberfall in einem Loch verkrochen hatte und sich dort versteckt hielt. Die Suchtrupps hatten nach Unterständen, wiederholt genutzten Schlafplätzen und tatsächlich auch nach gegrabenen Löchern gesucht. Er hatte stattdessen die Jagd auf die Sicherheitskräfte eröffnet, sich an die Suchmannschaften angeschlichen und sie meist in einem einzigen Überfall niedergemacht. Von ihnen hatte er sich Proviant, Waffen und Munition genommen.
Die Situation hier war anders. Es ging nicht darum, sich wochenlang durchzuschlagen sondern mitten in einem Blutbad einen Ritt auf dem einzigen Fluchtfahrzeug zu erhaschen. Doch war ihm nur zu bewusst, dass er das nicht schaffen würde, indem er sich wie all die anderen Lämmer würde auf einer blinden Flucht abschlachten lassen. Stattdessen hatte er wieder den Weg der Offensive gewählt. Je weniger Gegner er hatte, desto einfacher würde es werden. Nur dass ein Gegner den Namen >Zeit< trug.
Die Schiene saß, die Bandage darum ebenfalls. Mit mehreren Lagen Klebeband fixierte er diese zusätzlich. Zudem war die Außenseite des Klebebands schwarz und würde weniger auffallen als das blassgrüne Verbandsmaterial. Nur mit Zähnen und der freien Hand arbeitend, war das Ergebnis dennoch zufriedenstellend und würde lange genug halten. Nun kam die wahre Probe. Er stand auf und brachte sich in Position. Bislang hatte er dies nie bei sich selbst tun müssen, früher jedoch als praktizierender Arzt bei mehreren Patienten. Ein früheres Leben das länger vergangen zu sein schien als die Menschheit den Weltraum besiedelte.
Er atmete aus und vollzog die Reposition unter Ausnutzung seines eigenen Körpergewichts. Auch mit dem Morphium trieb ihm der Schmerz Tränen in die Augen. Seine Knie wurden weich und sein Puls raste mehr als in dem Moment als er sich auf den Angreifer gestürzt hatte, der ihm diese Verletzung beigebracht hatte. Nach zehn Atemzügen hatte er sich wieder unter Kontrolle, schnappte sich seine Beute und brach auf.
Bassey hatte sich bereits einen Fluchtweg zurechtgelegt. Einen, von dem er hoffte, dass man ihn von ihm nicht erwartete. Und einen, den bei der Flucht der ursprünglichen Mannschaft allen Anschein nach keiner der ursprünglichen Besatzung benutzt hatte. Keiner außer den Arbeitern jedenfalls, wie er die Spuren gedeutet hatte. Wobei diese Bezeichnung angesichts dessen, was er gesehen hatte, kaum passend war. Bruchsichere Fenster und Sicherheitstüren, die nur von außen geöffnet werden konnten, eine zusätzliche Umzäunung mit Wachtürmen um die Wohnbaracken.
Er erreichte das Treppenhaus und lauschte. Zu seiner Verwunderung hörte er tatsächlich etwas. Glas knirschte unter Schritten. Noch irgendjemand war in diesem Gebäude unterwegs. Bassey löschte seine Taschenlampe, die er in der linken Hand hielt. Mit den Füßen prüfend arbeitete er sich vorwärts, betrat das Treppenhaus und stieg hinauf, die von Urban erbeutete Waffe fest an den Leib gepresst. Nach einigen Schritten konnte er sogar wieder etwas sehen. Durch ein Oberlicht fiel blasses rotes Licht herein. Für einen Moment war er versucht, bis in das oberste Stockwerk zu steigen und sich an dem Brand zu erfreuen, der wohl schon die halbe Station erfasst hatte.
Wieder hörte er Schritte, dann das Klirren von Glas. Bassey trat auf einen Flur hinaus und sogleich wieder durch die nächste offene Tür. Hier bot ihm der dämmrige Lichtschein bereits mehr Sicht. Vor allem aber konnte er durch das Fenster sehen, wie der Schein einer Lampe über die Straße dahinter tanzte.
“Machen Sie das aus, Herr Schöffen!“ hörte Bassey jemanden flüstern, dann erlosch das Licht wieder. Zwei Gestalten rannten die Straße entlang, blickten dabei nicht einmal in seine Richtung. Bassey wartete nicht länger und verließ ebenfalls das Gebäude, nahm dafür jedoch ein Fenster auf einer anderen Seite.
Seine Füße trugen ihn schnell vorwärts, von Schatten zu Schatten und von dunkler Gasse zu dunkler Gasse. Das Feuer ließ er so immer weiter hinter sich, auch wenn dessen Widerschein in weitem Umkreis für eine unnatürlich diffuse Helligkeit sorgte in der alle Objekte seltsam flach und konturlos wirkten.
Sein erstes Etappenziel kam in Sicht. Eine Wohnbaracke der Arbeiter. >Sklaven< hielt Bassey für die passendere Bezeichnung. Soweit er die Spuren richtig gedeutet hatte, war beim ersten Angriff auf die Station hier nicht gekämpft worden, sah man von Attacken auf die Wachtürme ab. Mit weit ausholenden Schritten erreichte er die der Station abgewandte Seite der Baracke. Sein Atem ging keuchend und sein gebrochener Arm pochte trotz der Schmerzmittel. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und lehnte sich für eine kurze Verschnaufpause gegen die Wand. Dabei bemerkte er auch den neuen Geruch in der Luft.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert