Das Land der roten Rosen – Teil VIII: Forschungsstation
Zuletzt aktualisiert am 30. Oktober 2012 von DarkISI
“87“, sagte Urban und fuhr mit der Hand über die auf dem Tisch ausgebreitete Karte.
“Wir waren in jedem Gebäude, aber noch nicht in allen Räumen, daher könnten es noch mehr werden. Nirgendwo Lebenszeichen. Wir haben außerdem alle Datenträger, alles Papier und jeden tragbaren Computer eingesammelt. Mit der Auswertung haben wir aber noch nicht begonnen“ setzte er seinen Kurzbericht fort.
“Wie erwartet wurden die Kommunikationsanlagen ausgeschaltet, wahrscheinlich waren das sogar die ersten Ziele, damit kein Notruf abgesetzt werden kann. Wie der Angriff abgelaufen ist, wissen wir noch nicht.“ Pschorn nickte.
“Haben Sie damit angefangen, die Toten zu begraben?“ fragte einer der anwesenden Wissenschaftler, Urban las >Andrewski< auf dessen Namensschild.
“Nein und das werden wir so bald auch nicht“ antwortete Urban. Der Wissenschaftler erbleichte, dann erwachte Empörung in ihm.
“Wie können Sie so pietätlos…“
“Herr Andrewski!“ unterbrach ihn Pschorn.
“Feldwebel Urban ist dabei, den Ablauf des Angriffs zu rekonstruieren damit uns nicht dasselbe Schicksal ereilt. Und Ihre toten Kollegen können uns vielleicht etwas darüber verraten, wer das angerichtet hat und mit welchen Waffen. Dann können wir uns entsprechend darauf einstellen.“ Andrewski knirschte mit den Zähnen, von der Erklärung der Söldnerin nicht gänzlich besänftigt.
“Doktor Andrewski, wollen Sie vielleicht erst das Labor besichtigen und dann wieder zu uns stoßen?“ fragte Schöffen.
“Ich war vorhin im Labor. Dort habe ich die Leiche von Jörg Millen gefunden.“
“Ich verstehe“, sagte Schöffen und sah dem Wissenschaftler hinterher, der nun den Raum verließ.
“Damit wäre dann ein weiterer Toter identifiziert“ kommentierte Pschorn, als sich die Tür geschlossen hatte. Schöffen warf ihr einen mahnenden Blick zu, den sie geflissentlich ignorierte.
“Frau Pschorn, ich möchte, dass Sie Herrn Bassey bei der weiteren Untersuchung mit einbeziehen.“ Urban und Pschorn sahen ihren Auftraggeber entsetzt an.
“Wieso?“ fragte Urban ehe seine Vorgesetzte in Rage verfiel.
“Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Sie haben beide Erfahrung in der Planung und Durchführung militärischer Operationen. Ich habe ja auch mit angesehen, wie Sie von der Brücke des Danais aus ihre Truppen geführt haben und dabei immer umsichtig vorgegangen waren. Keiner Ihrer Männer wäre einfach in eine Falle gelaufen. Aber ich glaube nicht, dass diejenigen, die unsere Forschungsstation angegriffen haben, einem Militär angehören oder militärisch agierende Söldner waren. Vielmehr glaube ich an einen Überfall durch Piraten und Herr Bassey ist ein Pirat. Er hat viel mehr solcher Überfälle geplant und durchgeführt als nur den einen bei dem er letztlich verhaftet wurde. Ich habe ihn hierher mitgebracht, damit er genau bei der Aufklärung davon helfen kann. Vielleicht erkennt er sogar das Handwerk wieder und kann uns sagen, wer dafür verantwortlich war und wo sich diejenigen verstecken. Dann könnten wir noch weitere Söldner anheuern und dieses Nest ausräuchern.“
“Sie glauben wirklich, dass diese Bestie kooperiert und seine Freunde verrät?“ fragte Pschorn skeptisch.
“Nun, mit dem letzten war ich vielleicht optimistisch, aber wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass er uns bei der, wie hatten Sie es genannt? der Rekonstruktion des Ablaufs dieses Überfalls behilflich wäre, hätte ich ihn nicht mitgenommen. Er denkt anders als Sie mit ihrer militärischen Erfahrung sondern in den Strukturen eines Schwerkriminellen. Und er denkt sicherlich mehr an sich selbst als an irgendwelche anderen Piraten. Ich habe ihm das Versprechen gegeben, ihn auf einem Peripherieplaneten laufen zu lassen, aber das wird natürlich nicht passieren und das wird auch er mir nicht abgenommen haben. Aber Hafterleichterungen sind für seine Zukunft durchaus drin, wenn er sich kooperativ zeigt und er würde nicht mehr weiter in einer Todeszelle sitzen sondern nur noch bis zu seinem Lebensende eingesperrt bleiben. Das ist die Hoffnung, die er haben wird und diese ist real.“ Pschorn tauschte einen raschen Blick mit Urban. Sie wusste nicht, ob Schöffen die Wahrheit sprach. Dem Mann war nicht zu trauen, aber zumindest was die Zukunft Basseys anging, hatte sie ihre Entscheidung ohnehin getroffen, daher war es unerheblich, welche Pläne Schöffen hatte.
“Ein anderes Thema: wie viele Personen waren hier in der Station?“ fragte Urban, an Schöffen gerichtet.
“Knapp 100 aus unserem Konzern, 12 aus der Sicherheitstruppe sowie etwa 300 Arbeiter.“
“Dann haben wir die allermeisten noch nicht gefunden, es könnte also noch Überlebende geben, die irgendwohin geflüchtet sind“ meinte Pschorn und blickte konzentriert auf die Karte.
“Oder sie sind auf der Flucht getötet worden wie diejenigen, die wir in der Nähe des Landefelds gefunden haben. Das passt nur nicht so sehr zu einem Piratenüberfall. Denen sollte es doch eigentlich egal sein, ob jemand abhaut, so lange sie nur Beute machen können“ wand Urban ein.
“Nicht, wenn sie Zeugen beseitigen wollten.“ Urban nickte, war jedoch nicht überzeugt.
“Herr Schöffen, hat Ihr Unternehmen vielleicht Konkurrenten, die daran interessiert sein könnten, ihre Arbeit hier zu stehlen oder zu zerstören?“ fragte er und konnte förmlich sehen, wie es im Kopf des Konzernvertreters arbeitete um eine überzeugende Ausrede zu produzieren.
“Wie kommen Sie darauf?“ fragte Schöffen stattdessen.
“Als ich die Station untersucht habe, suchte ich nach Hinweisen auf entwendete wertvolle Güter. Geld, Schmuck, geöffnete Kassen, leergeräumte Lager, gestohlene Elektronik. Es sah schließlich nicht danach aus, als hätten die Täter das Gelände in großer Hast verlassen müssen. Da ist es einfach, viele Dinge mitgehen zu lassen, die man zu Geld machen kann. Aber soweit ich es gesehen habe, wurde keine einzige Krone mitgenommen und allein was im Labor an Technik stand, könnte meine sofortige Frühpension finanzieren“ erklärte Urban.
“Sie waren im Labor?“
“Ja, kurz bevor Doktor Andrewski dort ankam.“
“Waren Sie auch im Sterilraum?“
“Wenn Sie den Raum hinter dem Labor meinen, der mit einer zweiten Stahltür und einer Luftschleuse gesichert war, nun, ich habe den Kopf hereingesteckt und gesehen, dass es dort eine gründlichere Untersuchung braucht um noch etwas nützliches zu finden. Dort war alles kurz und klein geschlagen und anschließend in Brand gesteckt worden. Ich konnte nicht einmal mehr erkennen, was sich dort einmal befand.“ Schöffen zeigte sich über diese Nachricht noch stärker erschüttert als über die Meldung der 87 gefundenen Leichname.
“Nebenbei, Herr Schöffen, was wurde hier eigentlich erforscht? Was für ein Wissenschaftlier ist Doktor Andrewski?“ Schöffen zögerte ehe er mit gesenkter Stimme antwortete.
“Er ist Genetiker.“