Das Land der roten Rosen – Teil XV: Rosengarten
Zuletzt aktualisiert am 29. November 2012 von DarkISI
Nach dem Odem von Feuer und Tod war dieser Duft belebend und erfrischend. Außerdem sagte es ihm, dass sein Fluchtweg nicht mehr weit entfernt war. Mit ein paar tiefen Atemzügen brachte er sich wieder zu mehr Ruhe. Noch einmal spähte er in alle Richtungen, die er einsehen konnte und achtete auf Bewegungen. Soweit er es beurteilen konnte, war er allein hier. Er stieß sich von der Wand ab und biss die Zähne zusammen als ein Schmerz durch seine vor wenige Minuten wieder eingerenkte Schulter zuckte. Dann rannte Bassey los. Etwas mehr als hundert Meter, so schätzte er, lag zwischen der Wohnbaracke und der dicht bewachsenen Baumreihe, welche die gesamte Anlage von der dahinter liegenden Rosenplantage abgrenzte.
Nach dem Sprint wechselte er in eine langsamere Gangart. Vor seiner Gefangenschaft war seine Ausdauer besser gewesen. Zwar hatte er versucht, sich auch in der lyranischen Todeszelle in Form und bei Verstand zu halten, aber auf diesem Gebiet hatte er stark abgebaut. Vielleicht war auch der Sauerstoffgehalt der Luft geringer als auf der Reise hierher in der Kap Arkona und die Zahl seiner roten Blutkörperchen hatte sich noch nicht angepasst.
Der Geruch wurde intensiver, ja fast schon schwer und faulig. Viele der Rosen waren bereits am Ende ihrer Blütezeit, die Mehrzahl jedoch zeigte ihre volle Pracht. Zumindest soweit Bassey es im trüben Licht erkennen konnte. Der an den Wolken reflektierte Feuerschein genügte hier lediglich noch um einige Meter weit sehen zu können. Er erwartete nicht, dass die Angreifer gleichfalls von diesem Lichtmangel behindert wären.
Bassey wählte einen Weg zwischen zwei Reihen von Rosenbüschen. Dieser würde ihn weitgehend in Richtung des Landungsschiffes bringen. Er verfiel in einen Trott von dem er sich zutraute, diesen über die gesamte Strecke weitgehend durchhalten zu können. Sogar das Pochen in seinem Arm ließ nach einer Weile nach, genau wie das Ziehen in seiner Schulter und das Seitenstechen. Das Atmen fiel ihm leichter. Der Blütenduft war wirklich belebend. Mehr als das. Bassey hüpfte und seine Mundwinkel wanderten nach oben. Er fühlte sich nicht mehr auf der Flucht vor einem übermenschlichen Gegner befindlich sondern auf einem gemütlichen Spaziergang durch einen botanischen Garten. Die Rosen leuchteten rot im Feuerschein, so herrlich rot.
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Thom setzte sich vorsichtig die Feldmütze auf den Kopf. Trotz aller medizinischen Fürsorge, die man ihm hatte zukommen lassen, verspürte er noch von Zeit zu Zeit einen Schwindel seit Bassey seinen Kopf Bekanntschaft mit dem Stahl des Landungsschiffs hatte machen lassen. Daher trug Thom als einziger Söldner keinen Helm. Sie waren die letzte Verteidigungslinie vor der Laderampe ins Innere des Schiffs. Abgesehen von den Bordgeschützen, die für seinen Geschmack viel zu mäßig waren. Einen einzelnen Mech würden sie damit auf Abstand halten können, aber schon bei einer Lanze hieß es für sie Rückzüg und sofort starten. Immerhin hatte der Kapitän Wort gehalten und war nicht bereits bei den ersten Anzeichen von Gefahr geflohen. Bislang hatte es auch keine Berichte von Mechs oder Panzern gegeben. Auch die Sensoren der Kap Arkona hatten nichts erfasst, das dem Landungsschiff gefährlich werden könnte. Der Brand in der Station vermochte jedoch Wärmesignaturen aus dieser Richtung zu verschleiern, hatte ihm jemand von der Brückencrew erklärt. Und das Radar war eher darauf ausgelegt, andere Objekte im freien Raum zu entdecken und nicht auf dem Boden anrückende Truppen.
Seit Minuten hatten sie keinen Funkkontakt mehr mit den anderen Trupps oder sonst jemandem in der Station. Auch war es beunruhigend, dass es noch immer keine Flüchtenden bis hierher geschafft hatten. Die Nerven der Söldner lagen blank und Thom fiel es schwer, die Leute bei der Stange zu halten. Es war auch nicht sein eigener Trupp, den er hier befehligte, sondern eigentlich Pschorns. Sie teilte sich selbst stets die Neulinge zu.
Ein Maschinengewehr bellte auf. Thom zog instinktiv den Kopf ein als auch schon der zweite Feuerstoß ertönte und er realisierte, dass es einer von ihnen war, der da feuerte.
“Feuer einstellen! Was ist los?“ rief er.
“Ich habe eine Bewegung gesehen“, stammelte der junge Söldner. Hansen.
“Und dabei wahrscheinlich gerade den ersten Flüchtenden erschossen“, murmelte Thom halblaut. Er robbte zu Hansen herüber um nicht wieder durch lautes Rufen seine Position zu verraten.
“Du Vollidiot sollst nicht auf alles schießen, was sich bewegt! Da draußen sind immernoch unsere Leute!“ maßregelte Thom seinen Untergebenen möglichst leise aber eindringlich. Er blickte Hansen ins Gesicht. Aufregung las er darin, aber keine so große Unruhe wie er sie zuerst erwartet hatte.
“Wo?“, fragte er. Hansen hatte die Augen nicht zu Thom gewandt und wies nun in eine Richtung genau dem Lauf des Maschinengewehrs entlang. Thom nahm sein Sturmgewehr in Anschlag und blickte durch den Restlichtverstärker.
“Das war kein Mensch“, ergänzte Hansen flüsternd. Wieder donnerte das Maschinengewehr, doch diesmal stimmte Thom mit seiner leichteren Waffe mit ein, denn er hatte die Gestalt nun ebenfalls gesehen. Mehr noch, sie verschwand nicht wieder sondern bewegte sich schnell in sein Fadenkreuz. Er zog den Abzug erneut durch als sein Ziel plötzlich nach oben verschwand und die Kugeln ins Leere gingen.
“Sprungdüsen!“ meldete ein anderer Söldner zu Thoms Linken. Vor dem Scheitelpunkt der Flugbahn erlosch das Feuer und ihr Ziel war nicht mehr zu sehen. Kurz vor der Landung jedoch zündeten die Sprungdüsen erneut. Raketenlafetten entluden sich. Im Rauch der Raketentriebwerke wurden Laserstrahlen sichtbar. Die Schiffsbesatzung hatte den Angreifer ebenfalls entdeckt und unter Beschuss genommen. Im Gegensatz zu ihnen am Boden schienen die Waffenleitsystem das Ziel auch nicht verloren zu haben. Immer weiter feuerten die Bordgeschütze. Explosionen warfen Erde auf und bald schon schwelte ein Teil des Feldes vor ihnen. Dann herrschte wieder Stille. Thom nahm sein Funkgerät zur Hand.
“Kap Arkona, habt Ihr das Ding erwischt?“ fragte er.
“Kap Arkona?“
“Wir sind uns nicht sicher“, kam die zögerliche Antwort.
“Wir haben es nicht mehr auf dem Schirm“, folgte nach einigen Sekunden der Stille.
“Augen aufhalten! Das Feuerwerk gerade ging vielleicht daneben“, gab Thom an die übrigen Söldner wieder.
“Und passt auf, worauf Ihr schießt! Pschorn und die anderen sind noch da draußen!“