Kurzgeschichten

Das Land der roten Rosen – Teil XIII: Jäger und Gejagte

Zuletzt aktualisiert am 15. November 2012 von DarkISI

In Urban breiteten sich Schwindel und Übelkeit aus. Er lag mitten in Blut, Gedärmen und totem Fleisch, das noch vor wenigen Minuten Menschen war mit denen er in den letzten Wochen zusammen gelebt hatte, mit denen er zusammen gegessen und die unselige Reise hierher unternommen hatte. Nie jedoch hatte er sich dabei mit diesen Leuten sonderlich verbunden gefühlt und nun täuschte er vor, einer von ihnen zu sein. Ein weiterer regloser Körper auf einem Leichenhaufen. Nun verstand er jedoch, weshalb Bassey zuvor schon von Kopf bis Fuß mit Blut befleckt gewesen war. Der Pirat hatte diesen Trick bereits vorher angewandt um dem Tod zu entrinnen. Und wie es schien, schon zum zweiten Mal mit Erfolg.
Vor einer Minute hatten sie bemerkt, wie sich ihnen ein weiterer Angreifer näherte und hatten sich auf diese Weise getarnt. Doch noch bevor der Angreifer nahe genug heran war, sahen sie, dass dieser nicht hinter ihnen her war sondern hinter einer anderen Dreiergruppe, die Urban als Schöffen und seine Leibwächter erkannte. Einer der beiden hatte die anderen mit einem Stoß zu Fall gebracht und war mit einem Koffer unter dem Arm um die nächste Gebäudeecke verschwunden. Urban wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Hier waren mehr Geheimnisse nicht enthüllt worden als selbst er geahnt hatte.
Nun sah Urban den Angreifer auf der Straße stehen. Ein grob eiförmiger Körper mit zwei Armen und Beinen, etwa drei Meter hoch. Die genauen Konturen konnte er jedoch noch schlechter erkennen als bei dem Exemplar, das sie im Wirtschaftsgebäude in die Luft gejagt hatten. Zumindest hoffte er, dass die kombinierte Explosion aus Benzin und den Flaschen mit Acethylen, die sie noch gefunden hatten, ausgereicht hatte, das Ding zu erledigen. Auch hatten sie dafür gesorgt, dass sich das Feuer bis zum unterirdischen Treibstofftank ausbreiten konnte und so erwarteten sie…
Die zweite Explosion war sehr viel heftiger als die erste. Der Untergrund erzitterte wie bei einem Erdbeben, Scheiben gingen zu Bruch und eine Leiche rutschte auf Urban herab. Der Geruch nach Exkrementen verstärkte sich. Auf den gewaltigen Donner folgte eine unheimliche Stille. Feuerschein beleuchtete die über ihnen am Himmel stehenden Wolken und gab der Szenerie nun endgültig den Anschein einer Vorhölle.
Urban weinte. Er konnte es nicht mehr unterdrücken und schluchzte wie er es seit seiner Kindheit nicht mehr getan hatte, wünschte sich nichts anderes als nur fort zu sein von hier. Er wollte nicht sterben, wollte nicht so enden wie all diese anderen Menschen.
Mit einem Mal wurde die Leiche, unter der er gelegen hatte, heruntergezogen und durch den Schleier der Tränen erkannte er eine dunkelgrüne, fast schwarze Gestalt mit Beinen so breit wie er selbst nur einen Meter vor sich. Nun würde es geschehen. Auch er würde in Stücke gerissen werden und auf diese das Innerste jedes lebenden und empfindenden Wesens erschütternde Weise qualvoll sterben. Und er konnte nichts tun, als sich zu einer Kugel zusammenzurollen und hoffen, es würde wenigstens schnell vorbei sein.
Zwei Schüsse ertönten. Leuchtkugeln trafen die Gestalt in schneller Folge und diese taumelte einen Schritt zurück. Was danach geschah, begriff Urban nicht. Die Gestalt schlug wild um sich während Rauch von ihr Aufstieg. Als diese sich auf der Stelle umdrehte, bemerkte Urban eine kleine Flamme auf dem Rücken des Dings. Nach einem Blinzeln konnte er klarer sehen und erkannte den kleinen Plasma-Schweißbrenner, den Bassey mitgenommen hatte.
Die Gestalt schlug wild um sich und schließlich ertönte ein gedämpfter, aber quälend schriller Schrei. Beinahe eine Minute lang dauerte es an, doch Urban kam es vor wie eine ganze Lebenszeit. Als es endlich still war, lag das Ding reglos auf der Straße.
 
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“Drei Verluste bestätigt.“ Die Lage hatte sich für sie schlagartig geändert. Beim ersten Mal hatten sie keinen ernsthaften Widerstand erlebt und nichts hatte dafür gesprochen, dass es diesmal anders kommen würde. Die neue Wachmannschaft hatte zwar mehr automatische Waffe, war etwas zahlreicher und besaß auch Maschinengewehre. Aber dennoch war es diesen Barbaren gelungen, drei seiner Krieger auszuschalten. Der erste war offenbar in eine Sprengfalle geraten und als der nächste diese Lage überprüfen wollte, war es zur zweiten, noch größeren, Explosion des Treibstoffdepots gekommen, die zum zweiten Todesfall geführt hatte. Beides war noch irgendwie zu erklären gewesen, doch der dritte, nun ebenfalls bestätigte Verlust machte ihm Sorgen. Einer der Barbaren hatte einen Schweißbrenner zwischen die Sprungdüsen geklemmt und die Flamme war heiß genug gewesen, sich durch die Panzerung zu arbeiten.
Er selbst befand sich zu weit weg, um sich selbst ein Bild davon zu machen. Stattdessen lauerte er der letzten Gruppe Flüchtiger auf. Es waren wohl nur noch zehn oder zwölf, dazu vielleicht noch einige, die einzeln oder paarweise auf anderen Wegen unterwegs waren. Das Landungsschiff war noch nicht gestartet und damit weiterhin der Zielpunkt für alle Überlebenden. Es machte für ihn daher keinen Sinn, weiterhin in der Basis zu bleiben. Auch seinen letzten verbliebenen Krieger wies er an, diese zu verlassen und ihm zu folgen.
Mit wenigen Sprüngen hatte er das bebaute Gelände hinter sich gebracht und suchte nach weiteren Zielen.
 
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Sein Kopf schmerzte so stark, dass er sich fragte, ob er von dem Sturz nach der Explosion eine erneute Gehirnerschütterung davongetragen hatte. Auch die Notbeleuchtung war nun ausgefallen, weswegen Schöffen zusammen mit Eugen Deutinger nun von perfekter Schwärze eingehüllt war. Einen Mond besaß der namenlose Planet nicht und das wenige Sternenlicht wurde von den Wolken verschluckt. Nach einer Weile erkannte er aber doch wieder erste Konturen. Er kroch zum zerborstenen Fenster von dem das diffuse Leuchten stammte, das ihm zumindest eine grobe Orientierung in dem Büro erlaubte. Dabei schnitt er sich mehrfach an den Glasscherben, doch der Schock des Erlebten ließ ihn keine Schmerzen spüren.
Schöffen riss die Augen weit auf. Der Himmel leuchtete in dunklem Rot und Orange.
“Herr Schöffen, kommen Sie da weg!“ Doch Schöffen konnte nicht anders als das Schauspiel zu betrachten, dass ihn in seiner Schönheit und Schrecklichkeit gleichermaßen faszinierte und fesselte. Er wusste nicht, wie lange er einfach nur an das Fenstersims geklammert in gekrümmter Haltung da hockte und nur zum Himmel hinaufstarrte. Nicht einmal, dass sein Leibwächter seine zerschnittenen Hände notdürftig verband, bemerkte Schöffen. Eine ganze Welt stand in Flammen, da irgendwelche Dämonen einer Hölle entstiegen waren, die er mit seinem Projekt hier heraufbeschworen hatte. Gott sei ihm gnädig und behüte ihn vor dem Bösen.
 
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Pschorn stolperte, überschlug sich und landete unsanft auf einer Wurzel. Sie hatten den Weg durch den Wald gewählt, in der inzwischen verblassten Hoffnung, dass der Bewuchs für ihre wesentlich größeren Verfolger ein stärkeres Hindernis darstellen würde als für sie. Doch die regelmäßigen panischen Ausrufe und Todesschreie hatten sie eines besseren belehrt. Nun war es jedoch unsinnig, noch einmal auf die Straße umzuschwenken, dafür war sie dem Landungsschiff schon viel zu nahe. Ohne die Bäume hätte sie es schon lange sehen müssen.
Am Boden liegend versuchte sie, wieder zu Atem zu kommen und ihr Seitenstechen unter Kontrolle zu bekommen. Ihr Blick zuckte nervös hin und her. Sie fand ihre Taschenlampe wieder, die sie beim Sturz verloren hatte. Auch kontrollierte sie ihre Waffe. Sie hatte noch keinen einzigen Schuss abgegeben. Ihre Einheit bestand so gut wie nicht mehr. Ein Trupp war noch immer im Landungsschiff, doch von den übrigen hatten es außer ihr nur drei Mann überhaupt bis in den Wald geschafft. Sie setzte sich auf und schaute sich um, lauschte in den Wald hinein. Das Rauschen der vom Wind bewegten Blätter war alles, was sie vernahm. Sie war allein.
Mit lautem Donnern und Krachen brach einer der Angreifer mit einem Schweif aus Feuer und Rauch hinter sich durch die Kronen der Bäume und landete nur 50 Meter von ihr entfernt.
“Sprungdüsen?“ flüsterte sie zu sich selbst und fand damit zum ersten Mal etwas an diesen unbekannten Feinden, das sie als menschliche Technologie identifizieren konnte. Es nahm ihr jedoch nur wenig von dem Schrecken, als sich das Ding ihr zuwandte und losrannte. Die Instinkte der Soldatin, der Kämpferin erwachten in ihr. Pschorn riss ihre Waffe hoch, nahm diese in Anschlag, zielte und zog den Abzug durch.
Noch bevor das Magazin leer war, zertrümmerte ihr eine stählerne Klaue den Brustkorb. Die Kugeln der leichten Waffe hatten den Angreifer nicht einmal dazu gebracht, sein Tempo zu verringern. Mit dem Geräusch brechender Knochen und zerreißendem Fleisch zog er die Klaue wieder aus ihrem Körper heraus.

2 Gedanken zu „Das Land der roten Rosen – Teil XIII: Jäger und Gejagte

  • Nemo

    Ein Hinweis, daß die Geschichte vor der Claninvasion handelt, wäre meiner Ansicht nach hilfreich gewesen.

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  • Kommentator

    Im ersten Kapitel wird Rasalhaag erwähnt, also musste es schonmal nach 3034 sein. Im fünften Kapitel wird Oberon III erwähnt und das wurde schließlich 3050 von den Clannern überrannt. Im selben Kapitel erzählt die Söldnerin, dass sie zehn Jahre zuvor gegen Kurita gekämpft hat – das grenzt die Geschichte hier also auf die Zeiten 3038-3040 oder 3049 ein. Die Hinweise waren also da.

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