Kurzgeschichten

these boots are made for wading – Teil IX: Der Treffer

Zuletzt aktualisiert am 2. Dezember 2011 von DarkISI

Es wirkte ein wenig absurd, war aber aufgrund des Aufbaus des Manövers nicht anders zu handhaben. Der Kreuzer und seine Begleitschiffe entluden ihre Feuerkraft nach Steuerbord und zeitverzögert wurden auf dem Strand auf Backbord Rauchsäulen sichtbar. Daher mussten sich die wenigen Beobachter aus den Reihen der Marineinfanterie, denen die Kapitänin gestattet hatte, sich auf der Brücke aufzuhalten, entscheiden, ob sie das beeindruckende Mündungsfeuer der Kanonen, die von einem Zerstörer aus gefilmten Treffer auf den dicht bewaldeten Inseln vor der Küste oder die steigende Zahl von Rauchsäulen auf ihrem Zielstrand betrachten wollten.
Miguel war nur als Stellvertreter Aguirres der Zutritt gewährt worden, da dieser dankend abgelehnt hatte. Heimlich vermutete Miguel jedoch, dass sein direkter Vorgesetzter seekrank war und sein bleiches Gesicht lieber über einen Eimer hielt statt es hier den erfahrenen Seeleuten zu zeigen. Dabei lag der Kreuzer sehr ruhig auf dem Wasser und war kein Vergleich zu dem Landungsboot. Hier hatte Miguel keinerlei Probleme und bei seiner ersten Mahlzeit zur See auch kräftig zugelangt. Auch seinen Männern ging es in der Mehrheit wieder gut nachdem sie sich von dem Ritt über die Wellen erholt hatten.
Der nächste solche Ritt stand ihnen jedoch kurz bevor. Sobald die Flotte den Beschuss einstellte, würde der Befehl zum Besetzen der Landungsboote folgen. Wieder grollte der Donner der beiden schwersten Geschütze. Solche Kaliber wurden vom Königreich nicht selbst produziert. Sie mussten für teures Geld importiert werden. Gleiches galt natürlich auch für deren Munition. Es war daher ein Zeichen besonderer Wertschätzung, dass man für ihre Ausbildung solche Ausgaben tätigte. Andererseits war es zugleich eine Übung für die Kanoniere der Seestreitkräfte und man wollte auch deren Fähigkeiten verbessern. Eine gute Trefferquote könnte in irgendeiner künftigen Schlacht über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Vielleicht auch schon in diesem Manöver. Ein guter Treffer könnte ihnen als Landungstruppe bereits den Weg hinter die Linie der Verteidiger eröffnen. Und ein schlechtes Ergebnis des Zielschießens würde mehr Arbeit für die Infanterie übrig lassen.
Noch einmal entluden sich die Artilleriegeschütze, Sniper nannte man diese, wie man ihm erklärt hatte. Dann sah Miguel, wie sich der Turm vor der Brücke drehte und die Rohre nicht mehr zur Seite sondern nach vorn zeigten. Bald darauf wurde die Stille greifbar. Die Kapitänin drehte sich zu Miguel und den anwesenden Offizieren der Marineinfanterie um.
„Nun sind Sie dran. Besetzen Sie die Boote! Wir geben Ihnen das Signal, wenn wir in Position sind. Viel Erfolg!“ Teniente Ruiz salutierte für sie alle und sie setzten sich in Bewegung. Die Treppen hinab auf das Zwischendeck, in dem ihre Leute warteten. Beim Erscheinen ihrer Vorgesetzten packten alle ihre Waffen, die Rucksäcke hatten die meisten bereits aufgesetzt. Helme wurden zurechtgezurrt und hier und da noch einmal überprüft, ob alle Taschen gut verschlossen waren. Auch ein ausschließlich der Marineinfanterie zugewiesener Bestandteil ihres Equipments wurde noch einmal in die richtige Position gebracht. Obwohl es selbstverständlich keine echten Kondome waren, so nannte es doch jeder so. Die Wasserschutzhüllen, die über die Gewehrmündungen gestreift wurden, hatten schließlich beinahe dieselbe Form und Anwendungsweise. Bis auf die Modelle für Maschinengewehre hatten diese auch nicht die passenden Maße für die männliche Anatomie. Nur die weiblichen Marineinfanteristen behaupteten gegenteiliges. Ihnen würden sicherlich bald alle anderen Teilstreitkräfte folgen, ganz zu schweigen von ihrem Feind.
„Es geht los! Ab in die Nussschalen!“ rief Miguel und klopfte noch zweimal gegen die stählerne Wand ehe er selbst wieder eine Treppe emporstieg und an die frische Seeluft heraustrat. Zumindest wäre sie frisch gewesen, wenn nicht noch immer der Pulvergeruch ein Stechen in der Nase verursacht hätte. Der Wind wehte jedoch stark genug um diesen schnell zu vertreiben. Bem Abstieg in das Landungsboot nahm Miguel ihn kaum noch wahr, dafür umso intensiver den Geruch des salzigen Meerwassers. Kleinere Pfützen hatten sich schon in dem Landungsboot gebildet, aber damit war immer zu rechnen.
Nach und nach füllte sich ihr Transportmittel. Sein Zug gehörte mit 18 Mann, ihn eingeschlossen, zu den größten. Überall hatte es großen Schwund gewesen und von den 70 bis 80 je Kompanie, welche die Ausbildung begonnen hatten, waren meist nur 40 bis 50 geblieben. Im Dritten Bataillon war der Schwund am stärksten gewesen und daher hatte man dort bereits eine Umverteilung der Rekruten vorgenommen und das Bataillon auf zwei Kompanien verkleinert. Vom vierten bis neunten Bataillon hatte er lange nichts mehr gehört und somit wusste Miguel nicht, wieviele Rekruten dort das Handtuch geschmissen hatten. Zu diesem späten Zeitpunkt in ihrer Ausbildung war allerdings nicht mehr damit zu rechnen, dass noch jemand aufgab.
Eine Sirene heulte für zwei Sekunden auf, blieb eine Sekunde stumm und ertönte erneut für zwei Sekunden. Das war ihr Signal.
„Alle Mann festhalten!“ In der Marineinfanterie wurde verallgemeinernd immer von Männern gesprochen und in seinem Zug stimmte es sogar. Drei Frauen hatten mit ihnen begonnen, waren aber im Laufe der Ausbildung ausgemustert worden oder waren freiwillig ausgeschieden. Das war auch ein großer Unterschied zu den Brigaden. Dort wurde man eingezogen und durfte die Truppe nicht verlassen. Das galt dort als Fahnenflucht und wurde entsprechend geahndet. Die Marineinfanterie dagegen war eine reine Freiwilligenstreitmacht. Als solche würden sie motivierter sein als die Brigadisten, die ihnen in diesem Manöver ein weiteres Mal als Sparringspartner dienten. Anders als bei den beiden Manövern im Hafen von Puerto Rojo waren sie diesmal auch keine grünen Anfänger mehr sondern standen kurz vor dem Ende ihrer Ausbildung. Ihrer aller Erfahrung war gewachsen, auch jeder neu gekürte Zugführer hatte sich schon an diese Position gewöhnen können.
Das Landungsboot entfernte sich zusammen mit den anderen seiner Art immer schneller von der Princesa Maria. Vor ihnen wuchsen mehrere Rauchsäulen in die Höhe.
Bald wurden Miguel und seinen Männern auch klar, dass der Wind nicht nur Erfrischung in der Mittagshitze mit sich brachte sondern auch die Wellen höher wachsen ließ. Das Landungsboot schaukelte daher deutlich stärker als bei ihrer Fahrt zur Princesa. Zumal sie anders als der Kreuzer nicht gegen den Wind anfuhren, sondern dieser sie seitlich traf. Dadurch wuchsen die Pfützen zu ihren Füßen immer mehr an und mancher Magen eines Rekruten steuerte noch seinen Inhalt hinzu.
Auch Miguel fühlte die Übelkeit in sich wachsen. Die Würgegeräusche hinter ihm erleichterten es ihm nicht gerade, sich unter Kontrolle zu halten. Auch bereute er es, sich von seinem guten Durchstehen der Hinfahrt ermutigen gelassen zu haben und beim heutigen Frühstück stärker zugelangt zu haben. Dennoch wollte er sich nichts anmerken lassen und keine zweite Begegnung mit den Spiegeleiern, den Brötchen und… er wollte nicht weiter darüber nachdenken. Er war der Cabo, der Anführer des ersten Zugs der ersten Kompanie des ersten Bataillons der Marineinfanterie. Er würde sich nicht von der See und einem schaukelnden Boden kleinkriegen lassen.
Positiv war bei dieser Fahrt gegenüber ihrer ersten lediglich eines: Sie war deutlich kürzer und damit lag der Strand schon in Reichweite. Andererseits standen sie damit auch in Reichweite der Verteidiger. Irgendwo ertönte ein Maschinengewehr und aus einer anderen Richtung ein schrilles Sirenenpfeifen. Kurz darauf stieg etwa hundert Meter steuerbord eine rote Rauchsäule auf. Damit war ein zerstörtes Landungsboot durch einen simulerten Treffer markiert. Wenigstens ein Zug würde also den Strand garnicht erst erreichen.
„30 Sekunden!“ rief ihnen ihr Skipper zu. Miguel blickte sich um. Trotz aller Übelkeit waren seine Männer in Form und hielten sich gut. Er musste ihnen nicht noch einmal sagen, was sie zu tun hatten, wenn die Laderampe herabklappen würde. Erst dann würde es an ihm sein, die Lage vor Ort zu erkennen und entsprechende Anweisungen zu geben.
„10!“ rief der Skipper. Sie hörten die Treffer der Farbpatronen aus den Maschinengewehren der Verteidiger auf der Außenhaut ihres Bootes. Doch solche kleinen Kaliber wurden nicht als zur Zerstörung eines Landungsbootes fähig gewertet. Auch die Insassen waren vorerst vor dieser Bedrohung geschützt. Lediglich den Skipper könnte damit ein Glückstreffer ausschalten. Vielleicht spekulierten die Brigadisten genau darauf. Vielleicht hatte es bei einem anderen Landungsboot ja sogar funktioniert.
Der vordere Teil des Bootes fiel mit einem Platschen herab in das flache Nass kurz vor der Wasserlinie und diente ihnen als Rampe. Fast im selben Augenblick spürte Miguel einen heftigen Schlag gegen die Brust. Er sah an sich herab und sah nur noch rot.

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