Kurzgeschichten

these boots are made for wading – Teil III: Der Test

Zuletzt aktualisiert am 11. November 2011 von DarkISI

Es war eine wichtige Zäsur im Aufbau der neuen Truppe und er erwartete ungeduldig den Bericht seines Stabs. Comandante Ferrer hatte sich dennoch nicht dazu hinreißen lassen, den Besprechungsraum früher zu betreten obwohl er die Zeit dazu gehabt hätte. Stattdessen hatte er, wie es für jemanden in seiner Position und seines Standes angemessen war, sogar erst zehn Minuten nach dem angesetzten Beginn der Sitzung sein Büro verlassen. Spät genug um allen zu verdeutlichen, dass er über ihnen stand und ohne ihn nichts von Bedeutung zu geschehen hatte, aber nicht zu spät um ihm einen Ruf unnötiger Trödelei einzuhandeln und die Meinung, die seine Untergebenen von ihm hatten, zu untergraben. Die beiden Soldaten am Eingang, beide in gut gepflegten Dienstuniformen der Brigaden, kamen in Habacht als sie ihn sahen. Fünf Schritte vor dem Eingang salutierte der linke, während ihm der rechte die Tür öffnete. Ferrer dachte bei sich, dass die beiden auch als Palastgarde eine gute Figur abgeben würden. Die Soldaten waren jedoch eine Handbreit kleiner als er selbst und damit würden sie sich wohl für den Gardedienst knapp disqualifizieren.
Sein Stab war bereits vollzählig versammelt und auch hier wurde ihm Respekt bezeugt indem alle Anwesenden aufstanden und sich erst setzten nachdem auch er Platz genommen hatte und es ihnen mit einem Nicken erlaubte. Der Adelskodex des Königreichs war streng, Adel und Militär eng verflochten und im Grunde bestand garkein Unterschied zwischen einem Adelstitel und einem militärischen Rang. Es gab viele Comandantes, doch nur wenige davon hatten auch ein militärisches Kommando. Insofern betrachtete sich Ferrer durchaus als privilegiert, jedoch nicht gegenüber diesen Offizieren und Unteroffizieren in diesem Raum sondern gegenüber dem Adel, der faul und träge auf den Landgütern vergammelt. Es war jedoch nicht an ihm, etwas an dieser Ordnung zu ändern. Jedenfalls bis auf ein paar Dinge, die er hier bei der Marineinfanterie anders machen wollte. So sehr anders, dass es für manchen Adligen schon als skandalös empfunden wurde.
„Sparen wir uns das leidige Geplänkel. Ich bin vor allem am Ergebnis des heutigen Eignungstests interessiert.“ Eine neue Streitkraft aufzubauen konnte nicht über Nacht geschehen. Es mussten grundsätzliche Strukturen geschaffen werden. Dazu gehörte ein funktionierendes Offizierskorps. Im Moment gab es jedoch nur einen einzigen Offizier in der Marineinfanterie, den Commandante. Die Offiziere seines Stabs waren allesamt Angehörige anderer Teilstreitkräfte. Dasselbe galt auch für die Unteroffiziere, deren Aufgabe in der Ausbildung der ersten Rekruten bestand. All diese Ausbilder waren daher Offiziersanwärter und diejenigen, die sich als geeignet erwiesen, hätten damit nicht nur ein eigenes kleines Kommando sondern auch einen deutlichen Aufstieg in der sozialen Hierarchie vor sich. Das gab es sonst nirgendwo.
Infolgedessen mussten jedoch auch neue Unteroffiziere gefunden werden. Für diese galt jedoch gleichfalls die strenge Devise, dass diese sich in der harten Ausbildung der Marineinfanterie beweisen mussten. Daher konnten diese nur aus den derzeitigen Rekruten stammen. Um die geeignetsten Kandidaten herauszufiltern, waren eine Reihe von Tests angesetzt, welche die charakterlichen, psychischen, physischen und geistigen Fertigkeiten abprüften. Heute hatte in allen Kompanien der erste dieser Tests stattgefunden und die Auswertung durch die wenigen Eingeweihten war bis zu dieser späten Stunde durchgeführt worden. Nun lag ihm in einem Aktenhefter der Bericht vor, doch er bevorzugte es, zunächst eine mündliche Zusammenfassung zu hören, ehe er die Details nachlas.
„Major Espina, bitte beginnen Sie“, forderte Ferrer die Interimskommandeurin des ersten Bataillons auf. Er hielt sie für die Fähigste unter all seinen kommissarischen Einheitsführern, doch wusste er auch, dass sie kein Material für die Marineinfanterie war. Sie gehörte auf ein Schiff, wäre sogar fähig eine kleine Flotte zu befehligen und war sogar unter ihren Untergebenen beliebt. Von Infanterietaktiken dagegen verstand sie zu wenig um hier eine Zukunft zu haben. Eine gute Bewertung ihrer Arbeit durch Ferrer könnte ihr jedoch die Leitung einer Flottenakademie ermöglichen. Sie war ehrgeizig ohne dabei rücksichtslos zu sein. Das schätzte er sehr.
„Danke, Comandante.“ Sie erhob sich von ihrem Platz und alle Augen richteten sich auf sie. Auch das schätzte er. Sie war stets gut vorbereitet und musste nicht ständig in ihren Unterlagen blättern oder gar Berichte, die andere für sie abfertigten, ablesen. Damit stand sie in starkem Gegensatz zu den meisten Offizieren des Königreichs, die sich aufgrund ihrer adligen Herkunft für etwas Besseres hielten und nicht danach trachteten, sich für etwas, das sie nur durch Geburtsrecht erhalten hatten, weiter anzustrengen. Zwar war auch Espina eine Adlige, wie bislang alle Offiziere, doch strebte sie dennoch danach, zu beweisen, dass sie dessen auch würdig war.
„In der ersten Kompanie hatten wir ein sehr gutes Ergebnis des ersten Tests. Wie geplant war der interne Beobachter unter der Panzerkette verblieben und stellte einen Nervenzusammenbruch nach. Zwei Rekruten, die sich bereits auf dem Rückweg vom Wendepunkt befanden und dabei waren, eine Bestzeit hinzulegen, kehrten gemeinsam um und halfen dem simulierten Opfer. Einer von ihnen kroch unter den Panzer und begann, auf den Beobachter einzureden, der jedoch wie ausgemacht nicht antwortete oder reagierte. Als sie ihn zu bewegen versuchten, ließ er sich in eine liegende Position bringen, begann jedoch in vorgetäuschter Panik zu zappeln als sie ihn nach draußen zogen. Miguel Terraza fixierte ihn daher mit einem Klammergriff und Luis Barcina zog die beiden weiter. Ein dritter Rekrut, Jose Siso, half den beiden, indem er die noch immer austretenden Beine unseres Beobachters packte. Schließlich gelang es den Dreien, das simulierte Opfer unverletzt zu bergen. Siso jedoch musste nach der Übung ärztlich versorgt werden, da ihm einer der Tritte die Nase brach.“ Sie machte eine kurze Pause und blickte in mehrheitlich bereits gelangweilte Gesichter. Ihre Ausführungen waren auch für Ferrer detailreicher als er es erwartet hatte. Aufmunternd nickte er ihr zu und sie setzte ihren Bericht fort.
„Überraschend kam es jedoch in der ersten Kompanie noch zu drei weiteren Fällen von Rekruten, die im Angesicht der laufenden Panzerkette in echte Panik gerieten. Da es in dieser Kompanie am längsten gedauert hatte, bis eine Rettung des Beobachters erfolgte, hatte sich die gesamte Einheit an diesem Hindernis aufgestaut und so haben sich drei Rekruten von der beobachteten vorgetäuschten Panik anstecken lassen. Alle drei wurden ebenfalls von Barcina und Terraza herausgezogen. Siso war währenddessen von zwei Sanitätern behandelt worden. Das Ergebnis der Kompanie bei der Übung als solche war durch diese Verzögerungen katastrophal schlecht, aber die Rekruten haben Kameradschaft, Hilfsbereitschaft und Initiative erwiesen. Ich bin daher sehr zufrieden mit diesem Ergebnis.“
„Comandante, erlauben Sie eine Zwischenfrage?“ Major Rojo, Interimskommandeur des dritten Bataillon und der einzige Vertreter der Luftwaffe in Ferrers Stab, nutzte die nächste Pause in Espinas Bericht um diesen zu unterbrechen.
„Bitte, Major“, gab ihm Ferrer die nötige Erlaubnis.
„Major Espina, wieso enthält Ihr mündlicher Bericht einige Details, die in Ihrem schriftlichen Bericht nicht enthalten sind?“ Der Vorwurf, sie hätte ihren Vortrag mit erfundenen Inhalten ausgeschmückt um sich selbst zu profilieren blieb unausgesprochen, schwang aber in Rojos Frage deutlich mit. Unter den Stabsoffizieren war sie anders als bei ihren Untergebenen nicht beliebt. Ehrgeiz weckte Neid und Missgunst.
„Welche Details meinen Sie, Major?“ erwiderte sie ohne mit der Wimper zu zucken.
„Ich meine damit beispielsweise den Klammergriff. Das Wort taucht im schriftlichen Bericht nicht auf. Woher wollen Sie also wissen, dass das so passiert ist?“ Nun regten sich Espinas Gesichtszüge doch für einen kurzen Augenblick. Es war jedoch kein schlechtes Gewissen oder das Gefühl, ertappt worden zu sein, das sich in ihrem Antlitz widerspiegelte. Sie wirkte dagegen eher wie eine Spinne, der gerade eine Fliege ins Netz gegangen ist.
„Ich war vor Ort und habe es gesehen. Entschuldigen Sie bitte daher, wenn ich es in meinem schriftlichen Bericht anders formulierte.“ Mit dieser Antwort hatte keiner der Anwesenden gerechnet. Außer ihr war wohl auch kein Anderer auf die Idee gekommen, einer solchen Übung, auch mit einem solchen Test, persönlich beizuwohnen.
„Finden Sie nicht, dass das den Rekruten verdächtig vorkommt, wenn eine Offizierin bei einer Ausbildungseinheit zugegen ist und dann etwas Außergewöhnliches passiert? Denken Sie nicht, dass sich die Rekruten vielleicht nur deshalb so sehr anstrengten, weil sie sich gegenüber Ihnen beweisen wollten?“
„Nein, Major Rojo, das denke ich nicht, denn ich trug die Abzeichen eines Sargento und war nicht als Offizier zu erkennen. Während der gesamten Übung stand ich am Wendepunkt und nahm dort die Zeiten auf. Ich hatte von dort aus eine gute Sicht auf das Geschehen ohne direkt mit dem Vorfall in Verbindung gezogen zu werden.“

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