Kurzgeschichten

Das Land der roten Rosen – Teil V: Sonderaufträge

Zuletzt aktualisiert am 18. Oktober 2012 von DarkISI

Erneut erwachte Schöffen auf eine viel zu dünne Matratze festgeschnallt und ohne zu wissen, wo sich oben oder unten befanden. Neu war jedoch das Gefühl, als hätte irgendjemand das Innere seines Kopfes ausgepolstert. Er blinzelte und sah verschwommen, dass er sich in einem unangenehm hell erleuchteten Raum befand. Nach einigen Sekunden hatte er sich weit genug daran gewöhnt um zu erkennen, dass es sich nicht um seine Kabine handelte. Er drehte den Kopf und sofort stachen ihm glühende Nadeln durch die Stirn und sein Mageninhalt bahnte sich seinen Weg die Speiseröhre hinauf. Übelkeit und Schwindel überwältigten ihn und er erbrach sich mit aller Heftigkeit ohne sich dabei der Gurte entledigen zu können, die ihn an die Matratze fesselten.
Es kam ihm wie eine Ewigkeit später vor, als endlich der Schiffsarzt erschien und jemanden herbeirief, der das noch immer größtenteils frei im Raum schwebende Erbrochene beseitigen sollte. Geruch und Anblick ließen Schöffens Übelkeit noch einmal stärker werden, doch diesmal behielt er die Reste seines Mageninhalts bei sich.
“Haben Sie Schmerzen, Herr Schöffen?“ fragte der Arzt, der sorgfältig darauf achtete, nicht mit den herumschwebenden Tropfen in Berührung zu kommen.
“Ja“, antwortete Schöffen.
“Was ist passiert?“ fragte er nach.
“Das wollte ich eigentlich Sie fragen. Einer Ihrer Bodyguards brachte Sie bewusstlos und mit einer Platzwunde am Kopf hierher. Ich nehme an, Sie sind während des Stromausfalls aus Versehen ziemlich heftig gegen eine Wand oder gegen ein Schott gestoßen.“ Schöffen versuchte, diese Erklärung mit seiner Erinnerung in Einklang zu bringen. Ja, er war mit dem Kopf gegen irgendetwas geprallt. Aber jemand hatte ihn zuvor gepackt. War es Leuterbach gewesen, der versuchte, ihn zu halten oder war er absichtlich gegen die Wand geschleudert worden? Hatte nicht Bassey genau soetwas mit einem von Pschorns Männern getan? Bassey!
“Wie lange…“, begann Schöffen und der Arzt schmunzelte.
“Immer dieselbe Frage. Sie sind seit etwa drei Stunden hier, aber nach der Bewusstlosigkeit haben Sie den größten Teil dieser Zeit einfach nur geschlafen und ich wollte Sie nicht wecken.“
“Können Sie Herrn Leuterbach und Herrn Deutinger herholen?“
“Beide? Einer von ihnen wartet gerade draußen, aber ich weiß ums Verrecken nicht, welcher von beiden das ist.“ Schöffen wunderte sich über die Aussage des Arztes. Ihre Gruppe war schließlich nicht so groß, dass man nicht jeden mit Namen kennen könnte. Doch dann realisierte Schöffen, dass er auch nicht wusste, wie der Arzt hieß, auch wenn er ihm natürlich schon mehrfach begegnet war und auch von Pschorns Leuten kannte er nur ein paar wenige namentlich. Bei den Söldnern tat ihm das auch nicht leid, doch beim Schiffsarzt bedauerte er es nun. Leider trug der Mann auch kein Namensschild. Wozu auch? Es bestand schließlich keine Verwechslungsgefahr.
“Schicken Sie ihn bitte herein.“
“Ich werde Sie zuerst zu Ende untersuchen. Aber dass Sie schon wieder Anweisungen geben, werte ich als positives Zeichen, dass es doch nur eine leichtes Schädel-Hirn-Trauma ist. Ihnen wird sicherlich noch eine Weile übel sein, aber dagegen kann ich Ihnen etwas geben.“ Der Arzt setzte seine Untersuchung fort und redete dabei fast ohne Unterlass. Währenddessen war auch der Raum vom Gröbsten gereinigt und der Matrose, der dem Arzt zur Hand ging, holte sich einen frischen Lappen.
“Ich lasse Sie noch ein paar Tage hier auf der Station zur Beobachtung, wenigstens noch bis wir eine Weile wieder auf Schub sind.“ Diese Vorstellung gefiel Schöffen überhaupt nicht. Er wusste nicht, was ihm größere Kopfschmerzen bereitete – dass sein Gehirn ein wenig verrutscht war oder dass bei seinem Unternehmen alles schief zu laufen schien, das nur schieflaufen konnte. Ein Ausstieg war für ihn jedoch schon lange nicht mehr möglich. Es musste zu Ende gebracht werden, koste es, was es wolle.
“Herr Schöffen?“ Deutinger war hereingekommen und hielt sich mit einer Hand am Türrahmen fest. Der Arzt verabschiedete sich mit einem Kopfnicken und ließ Schöffen mit seinem Leibwächter allein.
“Schließen Sie die Tür“, wies Schöffen seinen Untergebenen an. Dieser folgte der Anweisung.
“Jemand hat versucht, mich umzubringen“, flüsterte Schöffen.Deutinger zog eine Augenbraue hoch, schwieg jedoch.
“Entweder war es Pschorn oder Bassey hat sich Zutritt verschafft als das Licht ausging.“
“Bassey?“ fragte Deutinger verwundert.
“Wo war er während des Stromausfalls?“
“Keine Ahnung. Ich kann mich umhören, aber wahrscheinlich hat man ihn in seiner Kabine gelassen.“
“Funktionieren die Türschlösser auch bei Stromausfall?“
“Damit kenne ich mich nicht aus. Da müsste ich auch nachfragen. Es tut mir Leid, Herr Schöffen, aber wie kommen Sie darauf, dass es Bassey gewesen sein könnte?“
“Er hat doch genau dasselbe mit einem von Pschorns Leuten gemacht – mit Wucht gegen eine Wand katapultiert. Mich hat auch irgendjemand gepackt und…“ Schöffen stoppte als sich die Tür öffnete und der Matrose hereinkam um mit dem Reinigen fortzufahren. Schöffen überlegte, ob er den jungen Mann hinausschicken sollte, ein neuer Schwindel verhinderte jedoch, dass er die nötige Autorität aufbrachte.
 
– – –
 
Urban verfluchte diesen Auftrag. Und er verfluchte Pschorn, die ihn angenommen hat. Noch mehr verfluchte er jedoch den Mistkerl wegen dem sie alle hier waren und der sie noch immer im Unklaren darüber ließ, was hier eigentlich gespielt wurde. Natürlich konnte das hier keine legale Geschichte sein. Von wegen dem Unsinn dass das Unternehmen dessen Namen sie nicht erfuhren nur deswegen hier draußen operierte um Patente zu schützen. Man sagte ihnen nicht einmal, wo genau sie waren. Wenn überhaupt, dann wurde etwas von Sagittarius-Sektor genuschelt, aber das konnte viel heißen. Oberon III lag im Sagittarius-Sektor und das sagte schon viel über diese noble Gegend. Wahrscheinlich war das auch das Problem wegen dem sie hier waren. Irgendeine Piratenbande hat die Einrichtung dieses Unternehmens gefunden, die Kaffeekasse entwendet und auf dem Weg nach draußen das Funkgerät beschädigt. Und sie würden ankommen, die Piraten schon lange verschwunden und nur noch dazu gut sein, den Technikern beim Aufstellen einer neuen Antenne zu helfen damit sich bei keinem Konzernmitarbeiter Dreck unter den Fingernägeln ansammeln konnte.
“Urban! Hör’ auf zu träumen und beweg’ Deinen Hintern hierher!“ Urban grummelte etwas Unverständliches, das seine Vorgesetzten besser nicht hören sollten in das Sprechgerät und zog sich an der Führungsleine weiter. Sie verband die Ausstiegsluke mit einer Stelle in der Außenhaut des Landungsschiffs die ein wenig aussah als würde aus der Eiform gerade etwas schlüpfen wollen. Anstelle eines Weltraummonsters oder einer anderen unheiligen Brut lag unter den geöffneten Wartungsluken jedoch ein Teil des Pumpsystems, das den Antrieb mit Reaktionsmasse versorgte. Soviel wusste selbst Urban, doch viel mehr auch nicht. Er hatte früher auf einem Raumhafen als Verlader gearbeitet und dabei auch Erfahrung mit Raumspaziergängen gesammelt. Darum durfte er nun für die Techniker aus der Schiffscrew den Werkzeug- und Ersatzteilcaddy spielen. Diesen sparte das die Zeit und Mühe, das selbst zu machen und konnten umso mehr davon für das Zerlegen und Zusammensetzen der Pumpe aufwenden. Eigentlich war es eine vernünftige Entscheidung, da sie so alle früher würden weiterfliegen können und damit auch früher nicht mehr in diesem Metallei wohnen müssten.
“Bin ja schon da“, gab er über Funk heraus, sodass die beiden arbeitenden Techniker ihn bemerkten, als er bei ihnen eingetroffen war. Die gepolsterte Packtasche mit Ersatzteilen schwebte langsam der Trägheit folgend seitlich an ihm entlang als er seine Bewegung stoppte. Ein Stahlkabel und eine Trageschlaufe verbanden diese mit seinem Raumanzug. Als einer der Techniker die Schlaufe übernommen hatte, löste Urban auch die Karabinerhaken am Ende des Stahlkabels.
“Was braucht Ihr als nächstes?“ fragte Urban und versuchte dabei sogar, nicht allzu genervt zu klingen.
“Gefällt es Dir Landratte hier etwa nicht?“ Das Lachen am Ende der Frage kam nur mit einem Kratzen aus den Lautsprechern.
“Oh Doch, wenn nur die Gesellschaft besser wäre“, erwiderte Urban.
“Wenn es Dich tröstet: Sofern alles glatt gelaufen ist, war das Deine letzte Tour“, antwortete derselbe Techniker, jedoch wieder ernst.
“Und wenn nicht, dann auch, denn die meisten Sachen haben wir kein drittes Mal an Bord“, ergänzte der zweite. Das fehlte ihm gerade noch. Urban hatte keinesfalls vor, den Rest seines dann wohl nicht mehr allzu lange dauernden Lebens als Treibgut im All zu verbringen, weitab jeder Zivilisation und mit der Amazone Pschorn noch als der hübschesten Reisegefährtin.
Urban konnte sich wieder ins Schiffsinnere begeben während die Montage des letzten Bauteils noch beinahe zwei Stunden in Anspruch nahm. Nach dieser Zeit folgte dann seine tatsächlich letzte Weltraumtour, als er noch einmal aufbrachum das Werkzeug der Techniker, aufgrund der eingeschränkten Beweglichkeit der Hände in Raumanzügen oft sehr viel klobigere Geräte als ihre Äquivalente zum Einsatz in einer Atmosphäre, wieder einzusammeln und in einer Tragetasche zurück zu bringen.
Zusammen mit den beiden Technikern und mithilfe eines Matrosen entledigte er sich des Raumanzugs. Ohne einen Gedanken an den Luxus einer warmen Dusche zu verschwenden, machte er sich auf den Weg zu Pschorn um ihr Bericht zu erstatten. Auch an ihr, die er in den Jahren in denen er unter ihr diente stets als abgebrüht und unerschütterlich kennengelernt hatte, schien diese Reise zu nagen. Natürlich versuchte sie es zu verbergen, aber das gelang nicht, wenn man wochenlang ununterbrochen einander so eng auf der Pelle sitzt. Außerdem wurde sie viel zu oft von irgendjemandem vollgejammert. Urban war klar, dass er an ihrer Stelle längst die Geduld verloren und einen der Jammerer mit zu einem Weltraumspaziergang genommen hätte. Ohne Raumanzug, versteht sich.
Er klopfte zweimal an Pschorns Tür, machte eine kurze Pause und klopfte noch dreimal. Es dauerte nicht lange bis sie ihm öffnete und er in ihre Kabine schwebte. Um die Hitze besser zu ertragen, die sich seit dem Herunterfahren des Reaktors noch verschlimmert hatte, trug sie in dem Wenigen, das man an Bord eines Landungsschiffs an Privatsphäre genießen konnte, schon nur noch Unterwäsche. Urban fühlte sich trotz dieser Freizügigkeit, der erzwungenen Enthaltsamkeit und der Tatsache, dass er vor seinem Söldnerdasein durchaus auch andere Aktivitäten in der Schwerelosigkeit kennenlernen durfte als nur Dinge von A nach B zu transportieren, nicht von seiner Vorgesetzten auf lüsterne Ideen gebracht. Und das keineswegs aus Professionalität.
“Also?“ fragte sie als die Tür wieder verriegelt war.
“Die Mannschaft besteht fast ausnahmslos aus Arschlöchern, Hurenböcken und Halsabschneidern“, begann Urban seinen Bericht. Pschorn schmunzelte, was ihren Anblick nicht angenehmer machte.
“Wir können uns also auf sie verlassen?“ Urban nickte.
“Dass sie sich jederzeit für eine schnelle Abreise klar halten würden, war jedem klar. Und auch, dass sie im Zweifelsfall nicht lange überlegen und unseren Manager samt Hofstaat und Kettenhunden zurücklassen würden, entsprach ja unseren Erwartungen. Aber ja, ich bin überzeugt, dass sie auf uns warten würden. Zumindest so lange wie das Schiff nicht bedroht ist. Da müssen wir aufpassen. Wenn da jemand mit schwererem Gerät als Sturmgewehren auf das Schiff ballert, lichten die den Anker.“ setzte Urban fort.
“Dann müssen wir aufpassen, dass immer jemand von uns im Hangar und am besten auch noch ein weiterer auf der Brücke ist“, überlegte Pschorn laut. Urban ging in Gedanken durch, wer sich am besten dafür eignet. Es musste schließlich auch für den Kapitän und ihren Auftraggeber plausibel klingen. Oder eher für dessen Kettenhunde, denn Schöffen selbst hatte keine Ahnung von Militär und wäre leicht zu täuschen. Die beiden aber hatten bestimmt im lyranischen Heer gedient oder zumindest anderweitig einen Einblick in Infanterietaktik erhalten.
“Einfache Lösung. Unser Funkgerät ist defekt, Roters soll nochmal die Technik durchgehen und dabei etwas finden. Er soll es aber so einrichten, dass wir das Ding trotzdem schnell wieder benutzen können, wenn es sein muss. Und ich werde dann auf der Brücke sein um dort die Kommunikationseinrichtung zu nutzen. Und Roters kann dann auch derjenige sein, der im Hangar sitzt und immer an irgendetwas herumschraubt.“ Urban machte ein missfälliges Gesicht auf Pschorns Idee.
“Mir gefällt es nicht, wenn Du so weit weg bist. Wer übernimmt dann die Reserve?“ fragte er.
“Ich muss da sowieso umdisponieren. Thom muss sich noch erholen, da mache ich seinen Trupp zur Reserve und setze dafür Dich mit Thilo nach vorne. Das Dritte kann dann, ach…“ sie stöhnte auf, da ihr niemand geeignetes einfallen wollte. In ihren Trupp, der normalerweise als Reserve eingesetzt wurde, kamen stets die Neulinge mit der wenigsten Erfahrung.
“Gibt es bei Dir einen, der meinen Trupp übernehmen kann?“ Urban stieß pfeifend die Luft aus.
“Also nach mir ist Lindscheid am längsten dabei, aber den brauche ich am Laser“, meinte Urban ratlos.
“Wir besprechen das morgen mit Thilo und Thom“, meinte Pschorn nach einem Moment des Schweigens.
“Gibt es dann noch etwas?“ fragte Urban, der Pschorns Gesicht anders als sonst nicht zu deuten wusste.
“Ja. Bassey.“
“Bassey?“
“Er ist die größte Unbekannte hier. Der Kapitän und seine Crew sind Halunken, damit kommen wir klar. Die Techniker und Wissenschaftler sind treudoofe Pappfiguren unseres Konzernheinis. Und Schöffen selbst ist ein skrupelloser Mistkerl, der wohl für Geld über Leichen geht. Bei ihm müssen wir nur aufpassen, nicht selbst zu den Leichen zu gehören, aber das kennen wir ja auch. Aber Bassey kann ich nicht einschätzen.“ Sie sah Urban tief in die Augen.
“Nik, ich habe vor zehn Jahren gesehen wie Kuritisten mit aufgepflanzen Bayonetten Häuser gestürmt haben und dabei nicht darauf geachtet haben, ob wir uns darin verschanzt hatten oder ob es nur Zivilisten waren, die sich versteckten. Ich habe auch mit angesehen, wie einer von ihnen drei meiner Männer aus nächster Nähe erschossen hat und als sein Magazin leer war, lud er nach und feuerte weiter in die Leichen. Das war Fanatismus. Ein wilder Irrglaube an ihren ach so heiligen Koordinator. Das ist abartig, aber auch das kann ich irgendwie verstehen. Bassey dagegen… ihm traue ich zu, dass er sich zu Dir an den Tisch setzt, eine Suppe löffelt, dir nach einer Minute die Kehle durchschneidet und dann weiter isst ohne sich um das Blut in der Suppe zu scheren.“ Urban musste sich eingestehen, bislang Bassey gemieden und überhaupt nicht viel von diesem Mann erfahren zu haben, so sehr das bei der räumlichen Enge hier auf der Kap Arkona überhaupt denkbar war. Zudem hatten ihn Pschorns Auftrag, die Mannschaft auf ihre Seite zu ziehen, schon genug Zeit gekostet. Ihm war klar, dass Bassey ein Mörder und mehr war, aber dass Pschorn, von der er wusste, dass sie gerade wegen ihrer Erlebnisse im Krieg gegen das Kombinat aus dem lyranischen Heer ausgetreten war und eine eigene Einheit aufgestellt hatte und deren Geschichte um den amoklaufenden Kurita-Infanteristen er auch schon kannte, so sehr von diesem Mann verschreckt war, dass sie sogar die Kuritisten verharmloste, ließ ihn schaudern.
“Ich will dass Du ihn im Auge behältst. Das ist kein Mensch. Wenn Dir irgendetwas seltsam vorkommt, knall das Vieh ab.“

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