Kurzgeschichten

these boots are made for wading – Teil V: Der Hafen

Zuletzt aktualisiert am 18. November 2011 von DarkISI

„Wie machen sie sich?“ fragte Ferrer, der gerade das Observationsdeck des schwer befestigten Turms am Hafen von Puerto Rojo betrat. Mit einer raschen Geste verhinderte er, dass die Anwesenden vor ihm salutieren mussten.
„Das Dritte hat bereits gut an Boden gewonnen“, antwortete Major Rojo als erster. Dieser eine Satz sagte Ferrer bereits genug. Und er sagte ihm, dass er Rojo loswerden musste. Der Mann war in einen unausgesprochenen Wettstreit mit Espina getreten und betonte jeden Abschnitt der Ausbildung bei dem sein Bataillon besser abschnitt als ihres als persönlichen Erfolg. Dabei mischte er sich kaum in die Ausbildung ein, wie es jedoch auch vom Prinzip her vorgesehen war. All diese Offiziere waren hier nur auf Zeit eingesetzt, leiteteten Ergebnisse und Berichte weiter, stempelten die von den eigentlichen Ausbildern in den Unteroffiziersrängen eingereichten Anträge und Ausbildungsentwürfe ab oder delegierten diese Arbeit ihrerseits an Adjutanten weiter. Dennoch waren sie notwendig bis die Marineinfanterie ihre eigenen Offiziere hervorgebracht hatte. Heute ging es jedoch wieder um die künftigen Unteroffiziere.
Alle Rekruten hatten irgendeinen Vorwand erhalten, die letzten fünf bis acht Kilometer bis zur Kaserne marschieren zu müssen. Der Zug, der das zweite Bataillon mit sich führte, hatte einen unplanmäßigen Halt wegen eines angeblichen Personenschadens auf der Strecke. Diese Rekruten waren recht bald ausgestiegen und über Feldwege bis zum Stadtrand gekommen. Dort waren sie von einer Versorgungseinheit der Seestreitkräfte in Empfang genommen worden, die sie mit Gewehren und Manövermunition ausstattete bevor sie mit einer Karte der Kaserne und des Militärhafens wieder weitergeschickt wurden. Beim ersten Bataillon waren es drei Manschaftsbusse, die alle auf verschiedenen Zufahrtstraßen eine Havarie vortäuschten. Das dritte Bataillon hatte den kürzesten Marschweg, denn sie mussten nur vom Fischereihafen eines Vororts aus den Weg hierher bestreiten nachdem sie die Meldung bekommen hatten, eine alte Seemine sei in der Hafeneinfahrt von Puerto Rojo aufgetaucht und müsse erst geräumt werden. Für die übrigen Bataillone, die erst in der kommenden Woche verlegt werden würden, würden es voraussichtlich dieselben Geschichten sein, wenn keinem aus dem Befehlsstab etwas Besseres einfiel.
Das zweite Bataillon war zuerst eingetroffen, wie Ferrer bereits erfahren hatte. Sie waren auf einen von Brigadesoldaten gespielten Feind gestoßen, der sie auf der Stelle festnagelte und jedes weitere Vorankommen effektiv verhinderte. Einige Minuten bevor Ferrer den Turm erreicht hatte, der ihm und seinem Stab als Beobachtungspunkt diente, war das dritte Bataillon ebenfalls angekommen und die simulierten Kampfhandlungen verstärkten sich.
„Auf der Seite der Lagerhäuser wurden zwei der drei vorderen MG-Nester geräumt. Die Verteidiger werden das dritte entweder aufgeben müssen oder sie werden gleich überrannt.“ Ferrer nickte anerkennend zu und war bereits gespannt zu hören, welcher der Rekruten hier das Kommando übernommen und einen solchen Angriff geführt hatte. Er nahm sein Fernglas zur Hand, trat an die Brüstung und ließ sich von Rojo zeigen, wo sich das letzte MG-Nest befand.
Bei dem Anblick, der sich ihm bot, hätte er Rojo am liebsten vom Turm gestoßen. Die beiden vordersten MG-Nester waren inzwischen wirklich unbesetzt, aber er konnte selbst aus dieser erhöhten Sicht und von hinten gerade einmal zwei Brigadisten sehen, die sich dort totstellten. Vor den Sandsackbarrikaden lagen mindestens zehnmal so viele Rekruten, deren Uniformen von oben bis unten mit Treffermarken übersät waren. Das von Rojo genannte dritte MG-Nest lag auf einem seitlich in das Hafenbecken hineinragenden Pier und hatte ein hervorragend freies Schussfeld. Die Letzten des dritten Bataillons hatten sich hinter allem verschanzt, das sie finden konnten. Anders als in einem zivilen Hafen gab es hier jedoch keine Unmengen an Frachtcontainern, die einem Deckung boten. Die Hafengebäude galten vorwiegend der Administration oder dienten als Lager für weniger kritische Versorgungsgüter und Ersatzteile. Waffen, Munition und Treibstoff waren unterirdisch gelagert. Nicht einmal Grashalme wuchsen auf dem schwarzen Asphalt.
 
„Das Zweite und das Dritte sind festgenagelt. Und von beiden ist kaum mehr als die Hälfte noch übrig. Tja… und wir sind über den ganzen Hafen verteilt, da jede Kompanie aus einer anderen Richtung gekommen ist.“ Luis klang so hoffnungslos wie die übrigen ihrer Kompanie dreinblickten. Keiner von ihnen verspürte sonderliche Lust, sich mit Farbpatronen spicken zu lassen. Gerade jene aus den Maschinengewehren waren Garanten für nachhaltige blaue Flecke. Das Zweite war auf der gegenüberliegenden Hafenseite in einen Hinterhalt geraten und dabei stark dezimiert worden. Danach hatten sie sich fluchtartig zurückgezogen und lieferten sich nun vereinzelte Schusswechsel um Häuserecken mit den Verteidigern. Das Dritte hatte offenbar all seinen Mut zusammengerafft und zwei vorbereitete Stellungen in plumper Wellentaktik überrannt. Dieser Mut war nun jedoch aufgebraucht und auch sie haben sich danach aus dem Feuerbereich eines weiteren MG-Nests zurückziehen müssen um nicht noch mehr Leute sinnlos zu verlieren.
Sie selbst saßen nun ein paar hundert Meter hinter der Linie an der sich das Dritte an den Boden klammerte und sie offenbar auf einen Glückstreffer auf die hinter Sandsäcken verschanzten Brigadisten hofften. Zwei Tapfere sprangen auf und rannten zu den simulierten Gefallenen um dort Munition zu sammeln. Sofort röhrte das Maschinengewehr auf und zuerst fluchte der schnellere der beiden und gesellte sich zu den übrigen Liegenden, kurz gefolgt von seinem Kameraden. An dieser Stelle war nichts mehr zu gewinnen.
„Wie sollen wir denn da vorbeikommen? Das ist doch einfach nur…“ Jose sparte sich den Rest seines Kommentars. Aus einer anderen Richtung hörte Miguel schon wüste Beschimpfungen gegen ihre Vorgesetzten.
„Die haben uns nicht erlaubt, in die Gebäude zu gehen, ja?“ fragte er so leise, dass es nur Luis neben ihm hören konnte.
„Ja, die wollen nicht, dass wir da drinnen für Unordnung sorgen“ antwortete dieser.
„Was ist mit auf die Gebäude?“ Luis Augen weiteten sich und er schaute zum nächstgelegenen Hafengebäude, einem kastenförmigen Lagerhaus mit einem zweiten kleineren aufgesetzen Kasten aus demselben grauen Beton.
„Wie sollen wir da hochkommen?“ fragte Luis.
„Rettungsleiter. Das da oben sind Büros der Lagerverwalter oder was auch immer. Auf jeden Fall irgendwelche Geschäftsräume. Da muss es irgendeinen Rettungsweg geben. Sie schickten zwei Mann auf die Seite, ob sie von dort aus etwas sehen konnten. Erst als sie die Rückseite des Gebäudes sehen konnten, kehrten sie zurück.
„Und?“ fragte Miguel die beiden.
„Das kann klappen, aber wir müssen einer nach dem anderen hoch. Die Leiter ist genau auf der anderen Seite und man muss sich direkt an die Mauer pressen, damit einen das Maschinengewehr nicht sieht.“
„Dann machen wir das so!“ sagte Miguel und sprang auf. Auch hier wollte er der Erste sein. Die Aussage ihrer beiden Späher war nicht gelogen. Die Sichtlinie des MG-Nests umfasste fast den gesamten Zwischenraum zwischen diesem und dem nächsten Gebäude, aber dicht an der Wand entlang gab es einen toten Winkel. Er winkte Luis heran, der ihn weit genug hochhievte um die unterste Sprosse der Rettungsleiter zu erreichen und herunterziehen zu können. Inständig hoffte er, dass man das rostige Quietschen nicht bis hinaus auf den Pier hören konnte. Sie legten alle ihre Rucksäcke ab, damit diese sie nicht beim Hochklettern sichtbar machten.
Oben angekommen robbte er über den Kies des Flachdachs bis an die flache Brüstung. Besser hätte es nicht sein können. Sie konnten von hier oben in die feindliche Stellung hineinwirken und hatten dabei selbst eine hervorragende Deckung. Er robbte zurück an die Leiter.
„Die Hälfte bleibt unten und sichert um das Gebäude herum!“ rief er herab, während sich immer weitere Rekruten das Dach betraten. Über den Kies zu robben war weder angenehm noch leicht, aber durch das unentwegte Training hatten sie inzwischen allesamt dicke Schichten Hornhaut an den notwendigen Körperteilen entwickelt.
Ihre neue Feuerstellung füllte sich. Als Miguel schätzte, dass etwa die Hälfte auf dem Dach angekommen waren, gab er ihnen das Zeichen, an die Brüstung zu kommen.
„Auf Drei! Eins – Zwei – Drei!“

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