Kurzgeschichten

these boots are made for wading – Teil VII: Der Cabo

Zuletzt aktualisiert am 25. November 2011 von DarkISI

Zu Beginn seines Verhörs vor dem Offizierstribunal hatte er sich gefragt, was schlimmer sein könnte als am Galgen zu baumeln. Nun wusste er, was diese Bedingung erfüllte.
Links und rechts von ihm liefen abermals zwei Soldaten, deren Gesichter im Lexikon unter „grimmig“ und „Nussknacker“ zu finden waren. Unentwegt fragte er sich, wofür er all das hier verdient haben sollte. Der einzige Gedanke, in dem er Trost finden konnte, war, nicht der Einzige zu sein, dessen Weg zum Exerzierplatz und vor die dort aufmarschierten Bataillone ihres Regiments führte. Doch welchen Trost konnte es schon spenden, nicht als Einziger derart präsentiert zu werden?
Die Rekruten standen in perfekt ausgerichteten Linien, den Kopf gerade nach vorne gerichtet. Ihre Augen jedoch folgten jedem seiner Schritte, der ihn näher zur hölzernen Tribüne führte. Er verdammte seine eigenen Füße, denen das Marschieren eintrainiert und der Überlebenstrieb ausgetrieben wurde. Jedes vernunftbegabte Lebewesen hätte in dieser Situation sein Heil in der Flucht gesucht.
Der Comandante sah beinahe genauso aus wie an jenem Tag an dem Miguel ihn das erste Mal gesehen hatte. An jenem schicksalshaften Tag in Puerto Verde, als er sich für die Marineinfanterie eingeschrieben hatte. Ein halbes Menschenleben schien seitdem vergangen zu sein. Und genau wie damals stand auch heute der Comandante auf einer Bühne und hinter einem Rednerpult. Der einzige Mensch, der das Recht besaß, die Ausgehuniform der Marineinfanterie zu tragen. Die Rekruten durften lediglich die Felduniform anziehen.
Das Dreigespann stieg die Stufen zur Bühne empor und Miguel salutierte vor dem Comandante. Dieser quittierte dies nur mit einem Nicken. Mit seinem versehrten rechten Arm hätte er den Gruß nicht erwidern können und das militärische Protokoll erlaubte nicht, auf den linken Arm auszuweichen. Daraufhin richteten sich die drei Rekruten zu ihren versammelten Kameraden hin aus, jeweils zwei Schritte Abstand zueinander.
„Eine jede Armee“, hallte die Stimme des Comandante über den Platz.
„läuft auf dem Schlachtfeld ständig Gefahr von ihrem Feind bis auf den letzten Mann ausgelöscht zu werden. Eine gute Ausrüstung und die Fähigkeiten eines jeden Soldaten mit seiner Waffe umzugehen sind überlebenswichtig. Doch noch wichtiger ist die Disziplin. Sie ist die oberste Tugend jedes Soldaten. Sie bewahrt die Ordnung und sorgt dafür, dass Befehle befolgt und Pläne durchgeführt werden. Ohne sie ist jedes Manöver zum Scheitern und jeder Soldat zum Tode verurteilt. Eine Armee benötigt Offiziere, die dazu fähig sind, auch in schwierigen Situationen richtige Entscheidungen zu treffen. Sie benötigt auch tapfere Soldaten, die Befehle ohne zu zögern ausführen. Und sie benötigt Unteroffiziere, die ihre Untergebenen richtig einzusetzen wissen. Die Disziplin ist es, die dieses Zusammenspiel erst ermöglicht und zwischen Sieg und Niederlage entscheidet. Daher soll an diesen hier stehenden Rekruten ein Exempel vollzogen werden, das bezeichnend für die Zukunft der Marineinfanterie stehen wird.“ Der Comandante richtete sich an die übrigen Offiziere, die seitlich versetzt auf einfachen Stühlen saßen.
„Major Espina, fahren Sie fort!“ orderte der Comandante und trat seinerseits vom Rednerpult weg. Eine Offizierin, die Miguel von seinem Verhör wiedererkannte erhob sich und ihr folgte ein zweites bekanntes Gesicht. Aguirre, der, wie Miguel erfahren hatte, am Vortag zum Alférez befördert worden war. Damit war aus dem Sargento ein echter Offizier geworden obwohl er wegen seines Versagens bei der Verteidigung des Hafens beim letzten Manöver getadelt worden war. Vielleicht war er deswegen auch nicht direkt Captain geworden, wie andere ihrer Ausbilder.
„Rekruten Alvarez und Acebes, tretet vor!“ Miguel wunderte sich, wieso nur seine beiden Begleiter aufgerufen worden waren und nicht auch er selbst.
„Aufgrund ihrer Leistungen in den vergangenen Monaten, ihrer Aufopferung, ihres Einsatzes für ihre Kameraden und ihrer Fähigkeiten im Gebiet der Menschenführung werden die Rekruten Alvarez und Acebes im Namen seiner Majestät dem König mit sofortiger Wirkung in den Dienstgrad Cabo befördert!“ rief sie aus und war auch ohne die Lautsprecher gut zu verstehen. Daraufhin trat sie zusammen mit Aguirre an die beiden Rekruten und die Offiziere legten ihnen die neuen Rangabzeichen an. Anschließend salutierten sie vor den frischen Unteroffizieren ehe Major Espina die beiden zurücktreten ließ.
„Rekrut Terraza, treten Sie vor!“ Miguel tat einen weiten Schritt, zog das andere Bein nach ohne den Blick vom Horizont zu nehmen.
„Aufgrund hervorragender Leistungen, seiner Aufopferung, seines Einsatzes für seine Kameraden im und außerhalb des Dienstes, seiner Bereitschaft zur Eigeninitiative, seines Talents und seiner Fähigkeiten auf dem Gebiet der Menschenführung und seines Willens über sich hinauszuwachsen wird Rekrut Terraza im Namen seiner Majestät des Königs mit sofortiger Wirkung in den Dienstgrad Cabo Mayor befördert!“ Cabo Mayor? Miguel wäre beinahe der Unterkiefer heruntergeklappt, hätte dieser ihm nicht genau wie seine Füße den Gehorsam verweigert. Als Cabo Mayor stand er zwei Rangstufen über seinen beiden gerade beförderten Kameraden und nur noch eine Stufe unter einem Sargento. Zwar waren auch all ihre Ausbilder inzwischen befördert worden, auf Ränge von Brigada bis Captain, womit er weiterhin deutlich genug unter diesen stand, aber er hatte nicht erwartet, dass man ihn gleich zum Zweiten in der Rangfolge seiner Kompanie machen würde. Nur noch Alférez Aguirre stand über ihm und man würde ihm einen eigenen Zug zuteilen. Er wusste nicht, auf welche verbotenen Substanzen die adligen Offiziere Zugriff hatten und wieviel sie davon hatten konsumieren müssen bis sie diese Entscheidung gefällt hatten, aber in diesem Moment verfluchte und liebte er sie zugleich dafür.
Er hatte es schon als das größte Glück seines Lebens empfunden als man ihn vom Vorwurf der Befehlsverweigerung freigesprochen hatte mit der Begründung dass nach dem Ausfall eines Vorgesetzten und unter Neubetrachtung einer taktischen Situation auch eine Abänderung von Befehlen zulässig und manchmal auch notwendig sei. Zwar sei seine Einschätzung nicht korrekt gewesen, da sich die taktische Situation bereits zu stark zu ihrem Nachteil geändert hatte und er war ebenso wie Aguirre dafür getadelt worden, aber als Befehlsverweigerung wurde es nicht gewertet.
Und nun war er sogar offiziell der nächste nach Aguirre und wäre, für den Fall dass Aguirre bei einem echten Einsatz fallen würde, sogar vollkommen den Vorschriften entsprechend dessen Nachfolger als Anführer der Kompanie. Seiner Kompanie. Ja, es würde seine Kompanie werden.

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